Digitalisierung und Versicherung – Ein großes Thema
Wir von inovoo sind Teil der digitalen Transformation der Versicherungsbranche. Die Digitalisierung in unserer Branche ist komplex. Deshalb haben wir uns entschieden, in diesem Blog regelmäßig verschiedene Aspekte des Themas zu beleuchten und fachlich einzuordnen.
Die Einflussfaktoren und Themenfelder sind vielfältig: Compliance, Schadenprozesse, Vertriebsprozesse, Datentransfer in diversen Ökosystemen (Vertriebe, Dienstleister etc.), Unternehmenskultur und -transformation, Künstliche Intelligenz (KI), Aufsicht und Verbraucherschutz sowie unterschiedliche strategische Ansätze und Herangehensweisen. Im Laufe der Zeit werde ich einige dieser Themen aufgreifen, Hintergründe beschreiben und aus meiner Perspektive kommentieren. Ich freue mich, wenn Sie sich für diese Themen interessieren und regelmäßig vorbeischauen. Natürlich freue ich mich auch über Ihre Kommentare, Rückmeldungen und Feedbacks, gerne per Mail: m.lichtinghagen@inovoo.com.
Strategische Herausforderung und Herangehensweisen
Die Komplexität der Datenstrukturierung
Bei der Abwicklung des Versicherungsgeschäfts steht immer wieder die Strukturierung unstrukturierter Daten im Mittelpunkt. Diese Daten, ob unstrukturiert, semistrukturiert oder strukturiert in unterschiedlichen Formaten, beeinflussen den gesamten Geschäftsbetrieb. Sie betreffen sowohl die externen Verbindungen zu Vertriebskanälen, Dienstleistern und Kunden als auch die internen Prozesse innerhalb von Versicherungsunternehmen, die häufig in organisatorischen und systemtechnischen Silos arbeiten. Diese Datenstrukturierung ist zusätzlich aufgrund des Wesens und der historischen Entwicklung der Branche besonders komplex.
Alte Bestandsführungssysteme mit Tausenden von Altverträgen und mehrere Layer von Umsystemen unterschiedlicher technischer Generationen (Orgadatenbanken, Partnerdatenbanken, In-/Exkassosysteme) sind schwer abzulösen. Die Datenmigration ist risikoreich und zeitaufwändig, die Integration neuer digitaler Systeme anspruchsvoll.
Digitalisierungsstrategien der Versicherungsunternehmen
Nahezu jede Versicherungsgruppe in Deutschland verfügt über eine Digitalisierungsstrategie. Häufig wird eine „große Lösung“ favorisiert, bei der Großprojekte zur Erneuerung von Spartenbestandsführungssystemen, Schadensystemen oder des Inputmanagements im Mittelpunkt stehen. Die Ablösung dieser Systeme erfordert einen hohen finanziellen und zeitlichen Aufwand, oft verbunden mit Investitionen in Millionenhöhe und Projektlaufzeiten von mehreren Jahren. Fehler und Bugs bei der Einführung sind vorprogrammiert. Zudem erschwert die Einbindung in veraltete Umprozesse die Realisierung von automatisierten End-to-End Prozessen. So bleibt nach Abschluss eines solchen Projektes oft eine zersplitterte, veraltete Systemlandschaft bestehen, die nur selten die gewünschte Modernisierung und Effizienzsteigerung bringt. Das Problem der Vernetzung mit Ökosystem-Partnern ist nicht gelöst und bedarf einer separaten Projektstruktur und Lösung.
Zunehmend wird über den Einsatz von Rundum-Kernsystemen (häufig als SaaS-Lösung) nachgedacht. Diese Systeme haben den Vorteil, dass alle Prozesse – vom Antrag über die Bestandsführung bis hin zu Schaden und Inkasso – aus einem Guss und optimal digital verknüpft sind. Die Herausforderung besteht jedoch darin, dass nahezu alle Prozesse innerhalb eines Versicherungsunternehmens gleichzeitig umgestellt werden müssen. Da diese vom neuen System zunächst im Standard bereits vorgegeben sind, muss hier entweder eine Anpassung der Prozesse oder ein Customizing des Systems erfolgen. Dies kann zu langen Projektlaufzeiten führen oder die Flexibilität in etablierten Prozessen in Frage stellen. Zusätzlich ist die Zuführung von Daten in einem Format und einer Qualität, die eine echte Automatisierung möglich machen, häufig problematisch. Auch in dieser Lösung ist die Anbindung von Vertriebspartnern oder Dienstleistern nicht selbstverständlich gelöst. Schnittstellen sind zwar häufig vorkonfiguriert, müssen aber oft aufwendig angepasst werden. Außerdem stammen viele Daten und Informationen aus den existierenden Input Management Systemen. Handelt es sich nicht um einen eindeutig abgegrenzten Sparteneinsatz (wie z.B. Fahrrad- oder Handyversicherungen), bei dem die Go-to-Market-Zeiten oft deutlich verkürzt werden können, sind solche Projekte in der Regel langwierig. Sie erfordern zudem oft umfassende Bewertungen von Datenschutz und anderen DORA-Themen, die nicht schnell erledigt werden können.
Schritt-für-Schritt-Ansatz
Die am seltensten angewandte Digitalisierungsstrategie ist die schrittweise Betrachtung von Geschäftsvorfällen und Datenschnittstellen. Ziel ist es, in bestehenden Systemlandschaften schnell Effizienz- und Servicevorteile zu erzielen. Für die End-to-End-Automatisierung von Prozessen fehlen häufig effiziente Datenanbindungen und -transfers sowie die Ergänzung von bestehenden Workflowsystemen (z.B. Camunda) durch moderne intelligente Komponenten (z.B. Aussteuerung und Auslesen handschriftlicher Dokumente). Dieser Ansatz entbindet das Versicherungsunternehmen nicht davon, parallel eine der beiden anderen Strategien zu verfolgen, ermöglicht jedoch in der Zwischenzeit, die Vorteile neuer digitaler Eingangskanäle und clever hergestellter Datenverbindungen mit der Außenwelt, zwischen Unternehmensbereichen oder zwischen Sparten- und Zentralsystemen zu realisieren. Dies kann sowohl den MAK-Bedarf reduzieren als auch die Kundenbegeisterung steigern.
Ich plädiere dafür, in unserer Branche verstärkt den dritten Weg zu gehen und einzelne Geschäftsvorfälle wie Adressänderung, Bankänderung, Kleinschadenbearbeitung, automatisierte Antragsverarbeitung und -policierung sowie Standardabfragen von Risikoanpassungsbögen, km-Stand- oder Umsatzabfragen zur finalen Regulierung von Prämien (z.B. in der Sparte Gewerbe-Haftpflicht) Schritt für Schritt zu optimieren. Im weiteren Verlauf dieses Blogs werde ich mich daher den besonderen Herausforderungen bei der Automatisierung und Optimierung ausgewählter Geschäftsvorfälle widmen.